Haarausfall und Psyche

Aus verschiedensten Gründen kommt es zu Haarausfall, manchmal mit Vorankündigung, wie bei einer Chemotherapie. Oftmals auch ohne vorherige Diagnose unvermittelt und schlagartig.

Aus diesem Grunde fühlt es sich auch an wie ein Schlag, wie ein Unfall. Man fühlt sich überfahren, denn es passiert etwas mit dem Körper (nach außen hin gut sichtbar) was vielleicht nicht steuerbar ist. Diese Veränderung ist für die eigenen Gefühle und die Eigenwahrnehmung eine absolute Herausforderung, die selbst psychisch starke Menschen aus dem Gleichgewicht bringen kann.

Unser Denken kreist um die Haare und das große „Warum ich?“, unser Gefühlsleben ist auf einer Achterbahn auf Talfahrt, mit verbundenen Augen, und Niemand sagt einem wo es hingeht.

Kreis der Familie oder engste Freunde

Ja, wir sprechen über unsere Ängste mit den uns nahestehenden Menschen, das tut uns gut und hilft uns das Gleichgewicht wieder zu erlangen. Das geht meist langsamer als gewünscht. Man ist vielleicht auch ungeduldig, weil die Diagnose länger auf sich warten lässt. Auch wütend zu werden, weil die Situation so schlecht beherrschbar ist, finde ich normal. Dieses permanente Haar-runter-rieseln macht einen wahnsinnig (im normalen sprachgebräuchlichen Sinn), denn überall sind Haare, auf der Kleidung, im Auto, selbst im Essen und auf der Zahlbürste; den ganzen Tag muss man Haare wegwischen und zupfen. Dann kommt vielleicht „Jemand“, meint es gut und zupft ausgefallene Haare vom Pulli. Dann kommt es auch zu ungerechten Äußerungen und es platzt aus einem heraus. Die Tränen laufen in Strömen. Auch bei mir, jedes Mal wieder, wenn meine schönen Haare ausgefallen sind, habe ich geweint – und ich bin davon überzeugt, ja, wir dürfen um unsere Haare weinen. Niemand möchte einen kahlen Kopf haben. Und auch heute – nach 30 Jahren- kann ich sagen, ich möchte meine Haare wiederhaben. Nein, ich finde mich nicht damit ab, ich unterstütze die Forschung und bleibe auf dem neuesten Stand der Forschung. Ich lebe damit, so wie es ist, die Alopezie beherrscht nicht mein Leben.

Brauche ich einen Psychiater?

Wenn sich die Handlungen und Gedanken mit der Erkrankung immer wieder im Kreis drehen und trotz Unterstützung der liebsten Menschen es nicht möglich ist, ein weitgehend normales Leben wieder aufzunehmen, bin ich der Meinung, dass man sich professionelle Unterstützung holen sollte, um vielleicht neue Sichtweisen zu entwickeln.

Habe ich eine psychische Erkrankung / Depression ?

Seit 30 Jahren habe ich nun Alopecia Areata und ich habe keinerlei Depressionen. Wenn bei mir die Haare ausfielen, hat es mich auch aus der Bahn geworfen, aber auch ALLE, die ich bisher kennengelernt habe und die ihr Schicksal mit mir in der Tiefe besprochen haben, ALLE haben keine Depressionen durch die Alopecia areata bekommen. Gerade bei den Kindern und Teenagern behaupte ich, dass es starke Persönlichkeiten geworden sind, die empathisch mit Ihren Mitmenschen umgehen, ihr eigenes Leben positiv hinterfragen und selbst reflektieren, was die eigenen Wünsche und Bedürfnisse sind.
Ich kenne auch Menschen mit psychischen Erkrankungen, die zufällig auch Haarausfall bekommen haben, aber in einer verschwindend geringen Anzahl.

Langfristig Haarausfall-Betroffene

Wenn sich mein äußeres Bild so stark verändert, so braucht es Zeit, wieder zu sich selbst zu finden. Den Zeitraum möchte ich hier nicht mit Wochen oder Monaten festlegen, denn der ist ganz individuell. Unser Leben besteht nicht nur aus den Haaren und es passiert auch sonst noch so einiges im Leben, das uns vor Herausforderungen stellt. Wenn allerdings einiges zusammen- kommt und das Fass des „Erträglichen“ eh schon randvoll ist, dann läuft es halt mit dem Haarausfall über und wenn immer wieder was Neues hinzukommt, dann ist der Zeitraum bis zum „wieder wohl fühlen“ einfach länger, als wenn es „nur“ die einzige aktuelle Baustelle ist.

Informationen

Man braucht einfach Informationen, um alle Fragen für sich selbst beantworten zu können. Aus diesem Grunde gibt es den Alopecia Areata Deutschland e.V. und auch aktive Leute, wie mich. Wir sind keine Ärzte und auch nicht die eigene Familie, aber alles dazwischen und so füllen wir Lücken. Ich finde das eine schöne Beschreibung und meine das sehr positiv, wir füllen Lücken mit Gesprächen und Informationen und einfach füreinander da zu sein in einer schwierigen Lebenslage.

Haare und Perücken

Ob ich nun mit Perücke glücklich bin, lieber gar nichts auf dem Kopf habe, oder Tücher binde, das sollte jeder für sich selbst entscheiden. Ich mag meine Perücken und meine Frisuren und möchte nicht ohne sein. Es ist teil meiner Persönlichkeit, meines Kleidungsstils und meines Wohlfühlgefühls.

Depression nicht einreden lassen

Bitte lassen sie sich nicht eine Depression einreden, wo keine ist. Es gibt keinen Haarausfall, der psychische Ursachen hat. Es gibt die verschiedensten Studien hierzu, die alle im Sande verlaufen sind oder komplett falsche Ansätze hatten. Teilweise wird einer Studie mit 86 oder 92 Probanden geglaubt, die mit unzureichenden Instrumenten und mit einer unzureichenden Personenanzahl einfach nicht wissenschaftlich fundiert ist. Es ist manchmal ein steiniger Weg, es bedarf einer vernünftigen Anamnese und einer belegbaren Diagnose, um welche Erkrankung es sich handelt.

Der Arzt

Ihr Arzt sollte Ihnen aufmerksam zuhören. Ihr Hausarzt sollte Ihre Koordinierungsstelle für alle Fachrichtungen sein. Ist das nicht der Fall, kann ich nur raten den Arzt zu wechseln.

Fazit

Fragen Sie ihre engsten Vertrauten, um Ihre Situation zu reflektieren. Unsere Familie und Freunde sind unser Halt und unsere Zukunft.

Abschluss

Wer Freunde hat, ist nicht allein und sollte dafür dankbar sein.

Ab und zu einfach einmal „Danke“ sagen.
Eure Kerstin

Alopezia areata und Depression

Diese Frage beschäftigt uns und wir haben uns Rat beim Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim geholt. Zum Thema Depression und anderen psychischen Belastungen gab es eine Studie, die noch nicht abgeschlossen ist.

Vorab können wir aber folgende Informationen weitergeben:
Fakt ist: Viele AA-Patienten werden nie depressiv, und die meisten Depressions-Patienten haben eben keinen Haarausfall.Nichtsdestoweniger gibt es in der Tat Hinweise darauf, dass das Risiko für das Auftreten einer Depression erhöht ist, wenn jemand von AA betroffen ist. Das ist nicht verwunderlich, da AA einen Stressfaktor darstellen kann und Stress ein Risikofaktor für Depression ist. Darüber hinaus weiß man, dass immunologische Faktoren sowohl bei AA als auch bei Depression eine Rolle spielen, und auch unsere Studie deutet darauf hin, dass auf genetischer Ebene bei beiden Störungen die HLA-Region teilweise mit eingebunden ist.

  • Wie und bei wem,
  • in welchem Ausmaß, das sind Fragen für die Zukunft.

Wenn jemand bei Alopezia eine Depression entwickelt, dann sollten antidepressive Therapien, kognitiv/verhaltenstherapeutisch und/oder medikamentös zunächst zum Zuge kommen. Bislang gibt es aus unserer Sicht keine klaren Beweise dafür, dass Depression bei Alopezia eine kausale gemeinsame Ursache hat – auch wenn wir danach suchen.

Dr. Josef Frank, Dipl.-Psych.
Abt. Genetische Epidemiologie in der Psychiatrie
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
J5 · 68159 Mannheim